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Learnings FC Bayern und Kahn

Fussball ist Emotion pur. Freude und Begeisterung wie Wut und Entsetzen gehören dazu. Dieser Cocktail zieht die Massen an. Der Rauswurf von Oliver Kahn zeitgleich und damit mitten im Höhepunkt der Spannung um die Deutsche Meisterschaft hat niemanden kalt gelassen und sorgte schliesslich für mehr Gesprächsstoff als der Gewinn des Titels des FC Bayern. Ein fatales Timing. Schlussendlich war es ein Scherbenhaufen, der nur Verlierende übriglässt.

Eine etwas tiefere Betrachtung der Ereignisse führt zu einigen interessanten Erkenntnissen und Learnings daraus. Diese betreffen die folgenden Bereiche:

  • Professioneller Prozess der Personalauswahl (FC Bayern)
  • Realistische Selbsteinschätzung im Hinblick auf die erforderlichen Skills (Kahn)
  • Richtiges Einschätzen und Handeln in einer schwierigen Situation (Kahn)
  • Verschiedene Szenarien durchspielen und damit das Risiko reduzieren (FC Bayern)
  • Transparent und offen kommunizieren (FC Bayern)
  • Die eigene Nachfolge so regeln, dass die neuen Verantwortlichen in Ruhe arbeiten können (FC Bayern)
  • Sich nicht als Retter sehen und aufspielen, sondern über die eigenen, gemachten Fehler reflektieren (FC Bayern, Hoeness)

 

Learning 1 – Die spezielle Persönlichkeit von Oliver Kahn. Der FCB wie auch Kahn selbst haben nicht gut hingeschaut.

 

Oliver Kahn war seit jeher äusserst ehrgeizig und verbissen. Das führte nicht nur dazu, dass er sehr erfolgreich war, sondern zeitweilen auch die Beherrschung verlierend Kung-Fu-Tritte oder Bisse gegen Spieler des Gegners austeilte. In der Kabine bei den Mitspielern wurde Kahn wegen seines Ehrgeizes eher respektiert als geliebt.

Zudem war er in seiner Rolle eben Torhüter. Und diese leben innerhalb einer Mannschaft meist in einer eigenen Welt. 

 

Die Wahl von Kahn war bei genauer Betrachtung falsch

 

In der Rolle als Fussballexperte im TV durfte man Kahn in letzter Zeit als sachlichen, ruhigen Fachmann und eloquente Person erleben. In der neuen Funktion als verantwortlicher Vorstand des FCB war er aber wieder mitten im Stress und Medienrummel wie früher auch. Diesmal aber als Leader neben dem Platz, nicht mehr als ungestümer Titan auf dem Feld. Die gesamte Saison war die Unruhe rund um den Verein gross. Hoher Druck und Stress waren die Folge. 
Kahns Persönlichkeit macht aber einen guten und vor allem ruhigen Umgang mit Stress schwierig. Bei besonders ehrgeizigen Personen wie Kahn dominieren Emotionen und Aggression, Gelassenheit kommt dabei zu häufig kurz. Die Rolle als Vorsitzender des Vorstandes verlangt aber Ruhe und Besonnenheit sowie explizite Kommunikationsfähigkeiten gegen innen und aussen. Und diese Eigenschaften, die besonders dann, wenn es nicht läuft essentiell sind, diese hat Kahn definitiv nicht. Er hat sie sich davor aber auch nicht aneignen können in einer ähnlichen Aufgabe.

 

Learnings für Kahn und den FC Bayern

 

Kahn und der FCB hätten sich bewusst sein müssen, dass Kahn enorm viele Qualitäten mitbringt; die erforderlichen Skills von Leadership, Empathie und Kommunikation aber eben nicht. Das hatte er bis anhin nie gemacht und konnte es folglich auch nicht. Ein guter Torhüter ist eben noch lange kein guter Leader. Hier haben der Klub einerseits wie auch Kahn selbst versagt. Beide lagen in ihrer Einschätzung falsch.

 

Learning 2 – Realitäten erkennen und rechtzeitig handeln. Das Unvermögen von Kahn. 

 

Es gibt Menschen, die Situationen realistisch einschätzen und bevorstehende Ereignisse gut antizipieren können. Andere können das nicht. Die schwierige Situation um die Person Kahn wurde seit Wochen öffentlich diskutiert. Die Möglichkeit einer Trennung war für alle offensichtlich. Kahn musste also mit einem Rauswurf rechnen. Jederzeit.

 

Kahn war nicht gut vorbereitet auf seinen Rauswurf

 

Aspekt 1. Er hat den möglichen Zeitpunkt seiner Entlassung falsch eingeschätzt. Vermutlich hat er gehofft, dass ihn der Meistertitel doch noch retten könnte. Sind die Dinge aber so hochgekocht wie sie seit Wochen eben waren, so wäre das eine fatale Fehleinschätzung von Kahn gewesen wie die Fakten zeigen. Er hat die heikle Lage kaum kompromisslos ehrlich und realistisch eingeschätzt.
Aspekt 2. Kahn war auf das Kündigungsgespräch emotional unzureichend oder gar nicht vorbereitet. Diese für ihn äusserst stressige Situation hätte er seit Wochen durchspielen, sich entsprechend vorbereiten können. Eben im Wissen um seinen speziellen Charakter, der im Zweifelsfall nicht hilfreich ist im Zustand des höchsten Stresses. Das hat er vermutlich nicht getan.

 

Learnings für Kahn 

 

Hätte sich Kahn seit Beginn der Diskussionen um ihn entweder selbst oder mit externer Hilfe auf eine mögliche Entlassung vorbereitet, so wäre die Situation weniger oder bestenfalls gar nicht eskaliert.

 

Learning 3 – Mögliche Szenarien antizipieren. Der FCB wurde überrascht

 

Mögliche oder eben auch fast unmögliche Szenarien durchdenken ist eine der wichtigsten Eigenschaften im Management. Das systematische Antizipieren aller Szenarien eröffnet die daraus folgenden Handlungsoptionen bis hin zur entsprechenden Kommunikation.

Wer das nicht tut, geht unnötig ins Risiko. Der FCB hat das aber getan.

 

Der Aufsichtsrat ist zwei Risiken eingegangen

 

Risiko 1. Mit der Entlassung von Kahn zwei Tage vor dem letzten, alles entscheidenden Spieltag ging der Aufsichtsrat das Risiko eines Leaks vor dem entscheidenden Spiel ein. Und Leaks sind zu jedem Zeitpunkt möglich. Wären diese «Bad News» vor dem Anpfiff zum Meisterschaftsfinale öffentlich geworden, wäre das sehr schlecht gewesen für Mannschaft und den Trainer. Schliesslich kamen die «News» dann gleich nach Abpfiff. Statt sich über den sportlichen Erfolg zu freuen, wurde stattdessen die Entlassung von Kahn und dem Sportdirektor diskutiert. Freude über einen Meistertitel sieht anders aus.

Risiko 2: Das zweite Risiko bestand in der nicht kalkulierbaren Reaktion bei der Entlassung dieses eigenwilligen Charakterkopfes Kahn. Offensichtlich hatte man beim FCB damit gerechnet, dass Kahn den Rauswurf ruhig hinnehmen würde. Das Gespräch eskalierte jedoch völlig überraschend gemäss Aussagen des Aufsichtsrates.

Nun stieg das Stresslevel auch beim Aufsichtsrat noch mehr an. Fehler waren die Folge. Der hektische Entscheid des Aufsichtsrates, Kahn kurzfristig die Präsenz am Finalspiel zu untersagen führte endgültig zum Skandal, weil sich die offiziellen Verlautbarungen des FC Bayern dazu mit denen von Kahn über Twitter diametral widersprochen hatten.

 

Learnings für den FC Bayern

 

Das entscheidende Gespräch mit Kahn zwei Tage vor dem Finalspiel war gut gemeint. Kahn hätte sich in den zwei Tagen zum Spiel besser auf die neue Situation einstellen können, so hiess es an der späteren Pressekonferenz als Begründung. Diese Einschätzung war aber falsch im Hinblick auf die Person Kahn. Die Risiken dieses Vorgehens waren zu gross.

 

Learning 4 – Kommunikation ist entscheidend und schafft Vertrauen oder eben nicht. Der FC Bayern müsste es besser können.

 

Kommunikation sollte glaubwürdig sein. Ansonsten verspielt man unnötig Vertrauen. Im Zweifelsfall sagt man besser nichts als man sich irgendwie durchschummelt. 

 

Der Aufsichtsrat hat eine Notlüge verwendet

 

Oliver Kahn war am Finalspiel nicht anwesend. Vor dem Spiel an diesem verhängnisvollen Nachmittag hatte der Verein mitgeteilt, Kahn fehle wegen einer Grippe. Das glaubte ohnehin kaum jemand wer eins und eins zusammenzählen konnte. Was sich dann auch prompt bewahrheitete, denn Kahn liess verlauten, dass ihm vom Verein die Reise zum Spiel und der anschliessenden Meisterfeier untersagt worden sei. 

 

Learnings für den FC Bayern

 

Der Normalfall sieht Krisenkommunikation so aus: Man spricht gegenseitig die offizielle Verlautbarung und das Timing für die Medien ab. Das war offensichtlich nicht möglich wegen der Eskalation im Kündigungsgespräch. Als Regel gilt: Besser nichts sagen als irgendwas, was ohnehin die grosse Mehrheit sofort als Lüge enttarnt. So verspielt man Vertrauen. Zudem hätte es sicher bessere Formulierungen und Argumente gegeben, welche dieselbe Interpretation zugelassen hätten, aber eben nicht gelogen gewesen wären.

 

Learning 5 – Wenn die Ehemaligen den Nachfolgern keinen Raum lassen. Uli Hoeness forever.

 

Man sieht es immer wieder: Die Ehemaligen lassen nicht gerne los. Ihre Rolle ist dann in der Folge nicht klar und die neuen Verantwortlichen haben wenig Raum sich zu entwickeln. Was dann folgt, das passiert meist nach ähnlichem Muster. Unsicherheiten auf allen Seiten und grosse Unruhe sind die Folge.

 

Uli Hoeness – der Ehrenpräsident – mischt weiterhin aktiv mit als graue Eminenz. Mal so, mal anders.

 

Der Vorsitzende des Aufsichtsrates ist Herbert Hainer, ein Mann der aus der Wirtschaft viel Erfahrung und Reputation mitbringt. Er müsste heikle Entscheide und Prozesse aus dem Effeff beherrschen. Aber da ist eben noch der Klub-Patron und Ehren-Präsident Uli Hoeness, der gerne überall dort reingrätscht, wo er meint, dass es ihn unbedingt noch braucht. Er war die treibende Kraft hinter dem aufsehenerregenden Rausschmiss.

Seine eigenartigen und unnötigen Kommentare zur Entlassung von Ex-Trainer Nagelsmann vor einigen Monaten liessen einen schon ratlos zurück. Und nun liess er verlauten: „Ich habe kürzlich mal nachgesehen: Oliver hat mich in der ganzen Zeit vielleicht fünfmal angerufen.“ Deutlich zu selten, wie der Ex-Keeper Kahn jetzt weiss. Wer also den Uli nicht ehrt, ist des FC Bayern nicht wert.

Dass es dem 71-jährigen Hoeness schwergefallen ist in die zweite Reihe zurückzutreten und sein Lebensprojekt in fremde Hände zu übergeben, sollte niemanden überraschen. Schon eher, mit welcher Vehemenz er nun zurückkehrt.

 

Learnings für den FC Bayern und Hoeness

 

Kahn mag die falsche Besetzung gewesen sein, klar. Aber jede andere Person hätte sich auch schwergetan, wenn der Übervater nicht die Grösse hat loszulassen.
Der Abschied vom Lebenswerk tut weh. Wer nicht loslässt schafft aber keinen Raum für Neues. Nicht selten redet ein ehemaliger Chef weiter mit, obwohl er schon längst übergegeben hat. Doch wer geht, sollte ehrlich sein – vor allem mit sich selbst.

 

Zusammenfassend

 

Der Fall Bayern und Kahn zeigt, dass es Fehler auf allen Seiten gab, die zum Eklat geführt haben. Die Philosophie von Bayern «mia san mia» hat dazu geführt, dass kein fundierter Prozess zur Besetzung der Position stattgefunden hat, weder beim FC Bayern, noch bei Kahn selbst.
Hoeness mischt wieder kräftig mit, es braucht ihn ja, so sein eigener Glaubenssatz. Damit wird der Raum für neues Führungspersonal gar kleiner als er eh schon war.